Stiftung Warentest ist eine Institution, bekannt wie Angela Merkel. Vom Berliner Büro des Chef-Warentesters Hubertus Primus blickt man auf die CDU-Parteizentale. Im Interview kritisiert er die mangelhafte Verantwortung vieler Hersteller und ärgert sich über Schadstoff-Funde in Kinderwagen. Primus verrät, was er gern spontan kauft - und was die Stiftung niemals testen wird.
t-online.de: Herr Primus, worauf achten Sie wenn Sie einkaufen? Auf Produkte, die im Test gut abgeschnitten haben? Oder gehen Sie entspannt durch die Läden?
Hubertus Primus: Selbst wenn ich entspannt durch die Läden laufe, muss ich ja irgendwann kaufen und mich für ein Produkt entscheiden. Und ich wäre ja mit dem Klammerbeutel gepudert, wenn ich die Expertise der Kollegen nicht wahrnehmen und nicht auf das Prüfsiegel achten würde. Das hängt auch vom Wert der Produkte ab. Bei technischen Geräten mache ich das auf jeden Fall. Bei Zahncreme kann es auch mal eine andere sein, zumal die Qualität da ziemlich einheitlich ist.
Haben Sie die Produktergebnisse im Kopf? Oder müssen Sie nachsehen?
Wir haben über 100 Warentests im Jahr. Die alle präsent zu haben, wäre eine tolle Leistung. Das wäre aber ziemlich nutzlos, weil ich das immer nachsehen könnte. Wenn ich ein Gerät kaufen will, schaue ich vorher ins test-Heft oder online auf test.de. Das machen übrigens viele Verbraucher so, bei Handytests oder Tablets zum Beispiel.
Kaufen Sie auch spontan etwas, wo ihnen das Testergebnis egal ist?
Bei technischen Geräten überhaupt nicht. Spontan kaufe ich Kuchen oder Süßigkeiten. Ansonsten richte ich mich nach unseren Ergebnissen.
Stolpern Sie öfter beim Einkaufen über Prüfsiegel, bei denen die Tests schon zwei Jahre und älter sind? Zum Beispiel bei Olivenöl?
Das war in der Vergangenheit so und hat mich sehr geärgert. Seit wir ein Logo-Lizenz-System haben und eine Lizenznummer an den Prüfsiegeln, wird Missbrauch immer seltener. . Was älter als drei Jahre ist oder keine Lizenznummer hat, ist irreführende Werbung und dagegen wird vorgegangen. Veraltete Werbung mit unseren Testergebnissen ist deshalb deutlich weniger geworden.
Es ist ja auch die Frage, was ein Qualitätsurteil aussagt, was vor zwei oder drei Jahren eine Charge betroffen hat?
Deshalb gibt es bei uns klare Regeln: Nur zwei Jahre werden Lizenz-Verträge abgeschlossen, in Ausnahmefällen drei Jahre. Wenn das technische Gerät zum Beispiel noch zu haben ist.
Bei Lebensmittel-Tests gibt es auch einen sensorischen Teil. Ist das nicht ein sehr subjektives Element?
Nein, das ist eine sehr objektive Prüfung. Wir prüfen nicht, was welchem Tester besser schmeckt, sondern die Fehlerhaftigkeit der Produkte. Da gibt es Definitionen, zum Beispiel darf Olivenöl etwas stichig sein, aber nicht zu viel. Bei den Panels testen Profis. Und wir testen nicht, ob es gut oder schlecht schmeckt, sondern, ob es ein fehlerhafter Geschmack ist. Ob eine Geschmacksnote vorkommt, die nicht drin sein darf. Vor Jahren hat ein Paneltest ergeben, dass etwas mit einem Olivenöl nicht stimmte. Bei der chemischen Prüfung ist herausgekommen, dass es verdorben war. Die Tester haben das früher gemerkt. Der sensorische Test ist so objektiv wie möglich..
Die Stiftung bekommt viel Geld vom Staat. Hubertus Primus, Vorstand der Stiftung Warentest, mit Volker Kauder (Fraktionsvorsitzender CDU/CSU) und Heiko Maas (Bundesjustizminister, SPD) (Quelle: dpa)
Haben Sie das Gefühl, dass Stiftung Warentest oft für etwas herhalten muss, dass von staatlicher Seite hätte geprüft werden müssen? Gerade wenn es um Lebensmittel geht?
Wir sind keine Gewerbeaufsicht, denn wir haben eine bestimmte Auswahl und machen einen vergleichenden Test. Bei Olivenöl ist es so, dass wir bei unseren Tests auf Missstände aufmerksam werden, diese darstellen und das wird dann später bei der staatlichen Kontrolle übernommen. Zum Beispiel unerlaubte Wärmebehandlung. Das haben wir als erste nachgewiesen. Natives Olivenöl darf nicht wärmebehandelt sein. Wir haben auch gesundheitsschädliche Weichmacher gefunden.. Es spricht vieles dafür, dass es in Plastikschläuchen gelagert wurde, die Sonne darauf geschienen hat und dann vom Plastik etwas übergegangen ist. Heute ist die Kontrolle auf Weichmacher auch Bestandteil des staatlichen Untersuchungsprogramms.
Ärgert Sie das nicht? Dass da nicht mehr geleistet wird? Dass erst die Stiftung Warentest kommen muss?
Es gibt Branchen, wo einen das besonders ärgert. Nehmen wir zum Beispiel Spielzeuge. Was wir da an Schadstoffen finden und gefunden haben, wenn man feststellt, dass die EU-Regelungen viel zu lasch sind, dass Kinderspielzeug keinen Stellenwert hat und die Grenzwerte viel zu hoch sind, das ist wirklich ärgerlich. Bei Kindern sollte man sehr vorsichtig sein. Beim letzten und vorletzten Kinderwagentest haben wir wieder Schadstoffe gefunden In Griffen und Teilen, an die das Kind herankommt und in den Mund nehmen kann. Da fragt man sich wirklich, wo das Verantwortungsbewusstsein der Hersteller ist.
Und die Hersteller sagen, die Grenzwerte sind eingehalten?
Ja, genau, das ist ein Standardargument. Ich finde, für einen Hersteller von Kinderspielzeug ist das ein ganz schlechtes Argument. Das kann man keiner Mutter und keinem Vater erklären. Zu sagen: Ja, da sind Schadstoffe drin, aber wir haben die Grenzwerte eingehalten.
Das ist dann aber auch die Verantwortung der Politiker.
Natürlich. Bei Weichmachern und Kinderspielzeug haben wir es geschafft, dass Regelungen verschärft wurden. Das müsste aber eigentlich nicht über unsere Tests laufen, sondern sollte vorher Konsens sein, dass man schärfer vorgeht.
Spricht man mit Elektronik-Herstellern, hört man oft die Kritik, dass Produkte getestet werden, die schon veraltet sind und Auslauf-Modelle sind. Teilweise sind Testsieger nicht mehr verfügbar, weil es schon einen Nachfolger gibt. Ist da der Vorlauf zu lang?
Beim Testen von Smartphones ist die Stiftung schneller geworden und macht auch Einzeltests von neuen Geräten (Quelle: Stiftung Warentest)
Im Elektronik-Bereich wird gern hektisch etwas Neues auf den Markt gebracht, weil man denkt, das verkauft sich besser. Ob das dann wirklich neu ist oder nur ein Schriftzug verändert wurde, ist die andere Frage. Bei uns geht solides Testen vor Schnelligkeit. Und da gibt es die Empfehlung an Verbraucher: Nehmt das Auslaufmodell, das gut getestet wurde, es ist vielleicht sogar billiger. Es muss nicht immer das neueste sein. Ansonsten kommen wir eigentlich gut hinterher. Wir haben die Produktfinder, das sind Datenbanken auf test.de, von denen es inzwischen 33 gibt, zum Beispiel zu Autokindersitzen oder Kameras. Wir kaufen ein Produkt, wenn es auf den Markt kommt, testen es und nach wenigen Wochen können wir den Test online stellen. Der Produktfinder für Smartphones und Tablets ist heute ziemlich aktuell.
Prüfgeräte direkt vom Hersteller vorab zu testen, lehnen Sie ab?
Ja. Erst, wenn das Gerät im Laden ist, kaufen wir, wie normale Verbraucher, anonym und wir bezahlen bar, damit es keinen Hinweis auf die Stiftung Warentest gibt. Das hat sich bewährt. Da gibt es manchmal Zeitverzögerungen. Aber das ist solide, transparent und richtig.
Matratzen-Tests gehören zu den beliebtesten Tests online (Quelle: Stiftung Warentest)
Stiftung Warentest ist online sehr aktiv. Sie haben Ende Mai 2017 100.000 Online-Abonnenten. Für Tests im Netz muss man bezahlen. Das läuft sehr gut. Die Tests, die sich am besten verkaufen, sind Matratzen. Warum? Es ist auch für uns ein Phänomen. Eine Erklärung wäre, dass wir bei Matratzen-Tests die einzigen sind, die das tun. Laut „Berliner Zeitung“ schläft mehr als die Hälfte aller Berliner schlecht. Vielleicht schauen deshalb viele bei uns nach. Aber auch das erklärt es nur unzureichend. Matratzen sind meistens vorn, mindestens unter den ersten drei Top-Themen.
Viele Portale werben online mit Tests, sind aber eher verkaufsorientiert. Sehen Sie das kritisch? Ist das für Sie eine Konkurrenz?
Ich sehe das sehr kritisch. Wir haben auch schon Portale abgemahnt, wenn sie es behaupten und keine Tests durchgeführt haben. Ich glaube, die Menschen wollen Testergebnisse, die solide sind. Bei einem Portal, steht dann „Bei unseren Tests ist der Bodenstaubsauger so und so gut rausgekommen“. Und dann klickt man und er wird im Shop verkauft und die Provision fließt. Das ist natürlich unseriös. Denn wo Test draufsteht, sollte Test drin sein. Und da sind häufig keine drin, die Tests sind nur vorgetäuscht. Das ist unzulässig und rechtswidrig. Wir hoffen, dass die Verbraucher da kritisch sind. Wenn irgendwo Test drauf steht,sollte man nachfragen: „Was ist das überhaupt für ein Test und was steht dahinter?“. Diese Fake-Testseiten sind nicht in Ordnung.
Kennen Sie diese Youtube-Portale, wo junge, zielgruppenaffine Menschen Produkte ausprobieren und dann rennen die Zuschauer los und kaufen die? Das ist wirklich eine interessante Entwicklung. Vor Jahren wurde uns vorausgesagt: Das wird schwer, als diese Nutzerbewertungen kamen. Man hat aber gleich gemerkt, da sind viele Fake-Bewertungen bei. Man weiß ja auch, dass Leute bezahlt werden, damit sie Produkte bei Amazon beurteilen. Wir denken darüber nach, ob man sich nicht solche Produkte von Bibi oder sonst wem vornimmt und sagt, was ist das eigentlich? Das ist eine gute Anregung. Mal ein Produkt richtig testen und das dann auch wieder bei Youtube verbreiten. Wir haben auch unseren Wettbewerb „Jugend testet“, bei dem Jugendliche seriös selber Produkte testen.
Auf test.de sind die Tests einzeln oder im Abo abrufbar. Ende Mai wurden 100.000 Online-Abos erreicht. (Quelle: imago images)
Ich habe noch nie einen Autotest von Ihnen gelesen. Warum testen Sie keine Autos? 1999 haben wir mit den Autotests aufgehört. Es ist einfach so: Autokauf ist eine sehr stark emotionale Entscheidung. Es gibt ADAC, Auto Motor und Sport und viele, die an diese Tests gründlich und gewissenhaft rangehen. Deshalb haben wir gesagt, wir testen Autozubehör: Dachgepäckträger oder sicherheitsgefährdende Dinge, Reifen, Zubehör, Radios und Navis. Autos zu testen ist unglaublich teuer und der Erkenntnis- und Nutzwert gegenüber den Kosten ist sehr gering. Ich hätte mir gewünscht, dass wir bei dem Diesel-Skandal dann doch mitgetestet hätten, aber das konnte man natürlich nicht ahnen. Ich habe keinen Dienstwagen, weil ich glaube, dass das Auto langsam ein Auslaufmodell ist – außer vielleicht selbstfahrende. Und da so hohe Kosten reinzustecken hat sich nicht gelohnt. Ich glaube, die Entscheidung war richtig. Wir haben auch nie überlegt, wieder in Autotests einzusteigen. Dafür testen wir Fahrräder, E-Bikes und Carsharing.
Die Zentrale der Stiftung Warentest am Lützowplatz in Berlin-Tiergarten (Quelle: imago images)
Gibt es neuen Produktgruppen oder ein Produkt, von dem Sie sagen, das wird niemals im Test bei uns laufen?
Wir werden Segeljachten und Einfamilienhäuser nicht testen, weil sie in der Anschaffung zu teuer sind. Autos haben Sie schon angesprochen. Ansonsten gibt es diese Grenze nicht. Wenn ein Produkt sehr relevant ist für den Verbraucher, wenn es große Unterschiede gibt, wenn vielleicht Sicherheitsmängel oder heutzutage Datenschutzmängeldazukommen, dann werden wir uns das Produkt natürlich anschauen. Durch das Internet der Dinge geht eigentlich die Tendenz immer weiter weg von reinen Produkttests. Mit Hardware kommen wir nicht mehr weiter. Es geht hin zur Software, zum Service, zur Vernetzung. Und es geht um Datenschutz. Da haben wir eine Riesenherausforderung. Und natürlich im technischen Bereich, dass die Sachen immer mehr zusammenwachsen. Handy, Tablet, Audio – die Geräte können immer mehr und da muss man dann anders vorgehen. Keinen vergleichenden Produkttest, sondern sagen, „Du als Verbraucher hast das und das Problem, willst die und die Lösung haben. Dann musst du die drei Geräte nehmen und sie mit dem Anbieter soundso vernetzen und auf folgende Datenschutzerklärung achten“. Das wird spannend, in die Richtung wird es gehen.
Stiftung Warentest hat einen Prozess verloren gegen Ritter Sport, dabei ging es um künstliche oder natürliche Aromastoffen in Nuss-Schokolade. Freuen Sie sich schon auf den nächsten Schokoladentest?
Dem nächsten Schokoladentest würde ich gelassen entgegen schauen. Ich habe neulich im Laden eine Ritter Sport Vollmilch-Nuss-Schokolade in der Hand gehabt…
Die wollte ich Ihnen eigentlich mitbringen…
Schauen Sie mal drauf, da steht nicht mehr „natürliches Aroma“, da steht gar kein Aroma mehr drauf.
Der Streit ging um das natürliche Aroma.
Wir haben einen Fehler gemacht, in der Wortwahl. Wenn wir gesagt hätten: Aus unseren Studien schlussfolgern wir, dass es chemisch hergestelltes Aroma ist, dann hätte das Gericht gesagt, okay, schlussfolgern dürft ihr. Aber wir haben geschrieben, dass wir nachgewiesen haben, dass es chemisch hergestelltes Aroma ist. Das Gericht hat entschieden, wenn die Stiftung sagt, es ist nachgewiesen, muss sie es gemessen haben, und das haben wir nicht Ritter Sport will jetzt auf Aromen verzichten.
Aber wenn auf einem Erdbeerjogurt „natürliches Aroma“ steht und da keine Erdbeere drin ist, sondern Baumrinde, dann ist der Konsument ja nicht zufrieden.
Sie haben völlig Recht. An dem Thema sind wir drangeblieben. Wir hatten danach einen Schokoladen-Eis-Test und genau die gleichen Befunde. . Diese ganze Aromalehre ist eigentlich Verbrauchertäuschung. Natürliches Aroma heißt, es könnten auch Sägespäne sein. Da sind die gesetzlichen Vorgaben so, dass man sagen muss, Verbraucherschutz ist etwas anderes. Und das ist ein Punkt, an dem man hofft, dass so eine Aromaverordnung angepasst wird.
Aber wenn Sie als Stiftung Warentest, als Experten da Schwierigkeiten haben, wie soll das denn der Verbraucher erkennen? Der hat doch keine Chance.
Da muss man dran bleiben, das ist wirklich ärgerlich. Man muss es immer wieder veröffentlichen und einen langen Atem haben.
Das Interview führten Helge Denker und Julian Bühler.